Krise und Rechtsentwicklung
Seit bereits über einem Jahrzehnt blicken wir auf eine besorgniserregende Rechtsentwicklung der Gesellschaft und damit einhergehend der parlamentarischen Realpolitik. Rechtspopulistische Parteien wie die AfD gewinnen drastisch an Einfluss, rassistische Diskurse sind mittlerweile Alltag in der politischen Debatte und Neonazis laufen zu hunderten in deutschen Großstädten auf, während legitimer Protest von links konsequent kriminalisiert und mit Repression überzogen wird.
In der bürgerlichen Linken wird diese Entwicklung unter einem starken moralischen Aspekt betrachtet. „Wir sind die guten, die Nazis die Bösen. Wenn wir alle wählen gehen, dann können wir die Nazis stoppen. Wir sind die Brandmauer.“ Die politische Situation lässt sich jedoch nicht losgelöst von den ökonomischen und sozialen Verhältnissen betrachten. Sie ist nicht nur ein Ergebnis, der Politik einzelner schlechter Menschen, sonder ist eng mit den strukturellen Krisen des Kapitalismus verbunden. Die Rechtsentwicklung ist die Reaktion der herrschenden Klasse auf die steigende Unmut in der kapitalistische Krise, als Form der Anpassung des kapitalistischen Systems, um weiter fortbestehen zu können.
Durch die immer mehr wachsende soziale Ungleichheit, die Wohnungsnot, Klimakatastrophen und eine Krise des bürgerlichen Parlamentarismus, bekommen Neofaschist:innen und rechte Akteure genau den Nährboden, der es ihnen erlaubt, den politischen Diskurs nach rechts zu verschieben und Themen wie völkischen Nationalismus, autoritäre Staatsvorstellungen, Antifeminismus und Antisemitismus wieder Salonfähig zu machen.
Die Rechtsentwicklung fungiert dabei letztendlich als eine Art sozialer Blitzableiter. Er lenkt die Wut über die Ungerechtigkeit von oben nach unten. Gegen Migrant:innen, Arbeitslose, Linke oder auch queere Menschen. Diese ideologische Verschiebung schafft aber nicht nur konkret Sündenböcke, sondern spaltet darüber hinaus auch die Klasse der Arbeiter:innen und verhindert damit einen eventuell aufkommenden kollektiven Widerstand und einen Umsturz des kapitalistischen Systems. Die Spaltung der Arbeiterklasse ist ein zentrales Ziel rechter Bewegungen, die die Ursachen für soziale Probleme vereinfacht und reale Kämpfe für Umverteilung und eine Verbesserung der Verhältnisse untergräbt.
Die Illusion der Brandmauer
In bürgerlichen Kreisen wird aktuell gerne von einer „Brandmauer gegen rechts“ gesprochen, als gäbe es aktuell eine klar definierte Grenze, die fortschrittliche Kräfte von rechten und faschistischen Kräften trennt. Ein genauerer Blick auf die stattfindende Realpolitik zeigt: Die Brandmauer ist porös, wenn nicht längst eingerissen, wenn sie denn überhaupt jemals in der dargestellten Weise existiert hat. Wenn etwa Geflüchtete systematisch entrechtet, Seenotrettung kriminalisiert oder rassistische Narrative von Parteien der sogenannten „politischen Mitte“ übernommen werden, dann wird deutlich: Die Brandmauer ist keine Schutzwand, sondern ein rhetorischer Feigenblatt, das die tatsächlichen Probleme verschleiert.
Antifaschismus bedeutet Antikapitalismus
Doch was tun? Wer den Aufstieg der Rechten wirksam bekämpfen will, darf sich nicht nur auf moralische Empörung oder Appelle an die „Mitte“ der Gesellschaft verlassen. Notwendig ist eine Bewegung, die sich den zugrunde liegenden Ursachen der Rechtsentwicklung stellt: der ökonomischen Ausbeutung, dem weiteren Abbau demokratischer Teilhabe und der Entsolidarisierung durch den neoliberalen Umbau der Gesellschaft. Kurz gesagt: Dem Kapitalismus.
Ein effektiver Antifaschismus muss die Verbindung zwischen kapitalistischer Krisenlogik und faschistischer oder rechter Ideologie sichtbar machen und ihr eine solidarische Perspektive entgegensetzen. Eine Perspektive, für die es sich zu kämpfen lohnt.

