Gedenken an Thomas / Azad Şergeş in Nürnberg

Am 16. Juni fand in Nürnberg eine zentrale Gedenkveranstaltung für Thomas / Azad Şergeş statt, der am 15.6.2023 in den Bergen Südkurdistans als Guerillakämpfer gefallen ist. Über 400 Teilnehmer:innen kamen und auch wir haben uns mit Genoss:innen aus verschiedenen Städten beteiligt. Zur Veranstaltung wurde außerdem eine Broschüre mit einer vielfältigen Sammlung von Texten von und über Azad, sein Leben und seinen Kampf in der Guerilla veröffentlicht – wir freuen uns, dass wir daran mitarbeiten konnten. Hier unser Nachruf auf Thomas / Azad.

Im Folgenden einige Eindrücke und ein Nachbericht zur Gedenkveranstaltung, der auf ANF-News veröffentlicht wurde:

Gedenken an Azad Şergeş in Nürnberg

 MAZLUM CÛDÎ

Hunderte Menschen kamen heute nach Nürnberg, um Azad Şergeş zu gedenken. Der Internationalist und Guerillakämpfer aus Deutschland ist vor einem Jahr durch einen türkischen Luftangriff in Südkurdistan ermordet worden.

Mit Hevalê Azad Şergeş in unseren Herzen, umgeben von seiner Moral und Entschlossenheit, versammelten sich heute mehr als 400 Menschen im kurdischen Volkshaus Medya in Nürnberg, um unseres Freundes und Genossen zu gedenken.

Azad Şergeş wurde ermordet, nachdem er mit seiner Einheit dem türkischen Militär einen empfindlichen Schlag versetzte. Er starb im Kampf für ein freies Kurdistan und einer freien Welt. Mit der Gedenkfeier würdigten wir Azad als mutigen Menschen, der an vorderster Front für die Freiheit kämpfte.

Die Veranstaltung begann mit einer bewegenden Rede im Namen des Kurdischen Gesellschaftszentrums Nürnberg. Es wurde die Bedeutung des gemeinsamen internationalistischen Kampfes herausgestellt; das kurdische Volk ist nicht alleine, die Berge und die Freund:innen weltweit sind seine Verbündeten. Es folgten persönliche Worte, Beiträge der kurdischen Frauenbewegung, des KOMAW – eine Vereinigung, in der sich in Europa lebende Angehörige von Gefallenen und Verschwundenen organisieren, seiner Familie und ehemaliger Weggefährt:innen. Lieder eines Freundes und eines Chors rahmten die Veranstaltung musikalisch ein.

Wir erinnerten nicht nur an Azad Şergeş, sondern gedachten aller Gefallener, die im Kampf für die Revolution ihr Leben ließen. Die Schwester von Asya Kanîreş, die Teil der Einheit von Azad war und im Zuge desselben Angriffs fiel, berichtete von persönlichen Erlebnissen und einprägsamen Gedanken, die die türkische Internationalistin schriftlich hinterlassen hat: „Jahrelang hat der Feind versucht, uns zu sagen, dass das Türkentum über allem steht und dass andere Völker nichts bedeuten. In diesem Sinne bedeutet es mir sehr viel als Türkin in der kurdischen Bewegung zu antworten […] Denn es gibt nur eine Sache, mit der er uns voneinander trennen will, aber es gibt viele Dinge, die uns vereinen. […] Der Feind mag denken, dass er einen Menschen getötet hat, aber es wird nicht lange dauern, bis er merkt, dass an seiner Stelle Tausende geboren wurden. Der Feind bekommt jeden Tag seine Antwort. Und ich bin hier, um dem Feind zu antworten.“ Azad, Asya und Koçer sind unsere Berge geworden.

Das Gedenken an die Gefallenen mit den Familienmitgliedern teilen zu dürfen, hat für uns eine besondere Bedeutung. Es ist nicht einfach mit der Entscheidung umzugehen, dass ein geliebter Mensch in die Berge geht, und das eigene Leben in die Waagschale wirft. Hevalê Azads Familie ist ein fester und nicht wegzudenkender Teil des kollektiven politischen Gedenkens. Seine Mutter drückte mit liebevollen Worten ihren Dank aus.

Diese Zusammenkunft war für uns alle ein besonderer Moment. Menschen reisten aus verschiedenen Regionen des Bundesgebiets und aus dem benachbarten Ausland nach Nürnberg, um Teil des Gedenkens an Azad Şergeş zu sein. Es war ein Zusammenkommen der kurdischen Bewegung und deutscher Internationalist:innen und Revolutionär:innen. Auf unterschiedlichste Art und Weise waren viele Hände daran beteiligt, diesen Moment zu gestalten und zu etwas Besonderem zu machen. Ganz in Azads Sinne konnten zu diesem Anlass verschiedenste Organisationen zusammengebracht werden.

Auch die Vorbereitungen der Gedenkfeier waren geprägt von einem stärkenden Zusammenwirken. Obwohl der Verfassungsschutz dafür sorgte, dass die ursprünglichen Räumlichkeiten kurzfristig gekündigt wurden, ließen wir uns nicht unterkriegen. Zu keinem Zeitpunkt war eine Absage eine Option, vielmehr war die letzte Woche geprägt von einem „Jetzt erst recht“! Der staatliche Repressions- und Überwachungsapparat versucht solche politischen Momente zu sabotieren, und damit auch an die Kriminalisierung linker und revolutionärer Strukturen anzuknüpfen. Aus dem Versuch, die Gedenkfeier platzen zu lassen, konnten wir etwas Gutes machen: Wir verlegten das Gedenken an einen politischen Ort – in den kurdischen Verein – und konnten dem Angriff so mit Kollektivität und Solidarität trotzen.

Zum Anlass der Gedenkfeier erstellten Internationalist:innen und Revolutionär:innen der deutschen Linken eine Broschüre, mit einer vielfältigen Sammlung von Texten von und über Azad, sein Leben und seinen Kampf in der Guerilla. In „Von den Alpen nach Kandil“ wird Azads Weg nachgezeichnet: Die Entwicklung seiner revolutionären Persönlichkeit als Aktivist in Deutschland, sein Anschluss an die Arbeiterpartei Kurdistans PKK, sein ideologischer Tiefgang und die Ausbildung an der Waffe in den Bergen. Die Broschüre zeigt Azads Vermächtnis auf, nach Wegen zu suchen, einen praktischen Internationalismus zu verwirklichen und dabei mit Mut und Ernsthaftigkeit voranzugehen. In diesem Sinne wird im Schlusstext der Broschüre auch die Notwendigkeit umrissen, einen revolutionären Aufbauprozess international voranzutreiben.

In diesem Sinne beendeten wir den Abend mit einem Gedicht von Azad Şergeş:

„Dir gehört mein Herz

Ich gebe dir meine Kraft

Widme dir all meine Zeit

Doch dies nicht bis in alle Ewigkeit

Denn eines Tages bist du hier vorbei

Ziehst woanders fort

Doch mir macht das nichts aus

Denn ich folge dir an jeden Ort.

Revolution“

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Azad Şergeş war der Nom de Guerre von Thomas Johann Spies. Der 1996 in Deutschland geborene Internationalist war in der Kurdistan-Solidarität aktiv, als er 2016 als Zwanzigjähriger zur Guerilla in die Berge ging. Dort schloss er sich den Volksverteidigungskräften (HPG) an und beteiligte sich am Widerstand gegen die türkische Invasion Südkurdistans. Am 15. Juni 2023 war er in Xakurke im Einsatz, als seine Einheit nach einer erfolgreichen Aktion gegen türkische Besatzungstruppen von Kampfflugzeugen und Artillerie des NATO-Mitglieds Türkei tödlich getroffen wurde.