In Essen gelang es diesen Juni – nach langer Zeit wieder – eine zentrale Veranstaltung der AfD massiv zu behindern: mit beharrlichen Blockaden wurde der Beginn ihres Parteitags verzögert und der Zugang dorthin wirksam erschwert. An mehreren Stellen gelang es die Blockaden gegen die Polizei durchzusetzen und zu halten, bis man diese nach einigen Stunden selbstbestimmt auflöste und gemeinsam sich als Block an der Demonstration beteiligte. Das war ein positiver und ermutigender Moment für die Arbeit der Antifaschist:innen in NRW auch darüber hinaus. An dem Tag beteiligten sich ca. 7000 Menschen an den Blockaden. Als Teil davon hatten wir als Perspektive Kommunismus gemeinsam mit dem revolutionären „Fight AfD“ Bündnis zu den Gegenprotesten aufgerufen und Anreisen organisiert.
Zudem haben wir die „Fight AfD“ Mobilisierung mitgetragen, weil diese für uns einige bei anderen Bündnissen fehlende Aspekte ergänzt hat:
- Die Erkenntnis, dass die Gesetze der Herrschenden nicht unseren Rahmen für antifaschistische Praxis bilden,
- dass es nicht die eine alleinig richtige Form im Kampf gegen die extreme Rechte und die AfD gibt und wir vielschichtig agieren müssen.
- Die damit verbundene Notwendigkeit, unser Repertoire und unsere Handlungsfähigkeit auf der Straße auszuweiten
- und die Überzeugung, dass die soziale Frage und der Klassenkampf gegen die Herrschenden im Widerstand gegen die AfD nicht ausgeklammert werden können.
So war es möglich einige revolutionären Kräfte zu sammeln und gemeinsam zu agieren.
Wir wollen mit zeitlichem Abstand versuchen diesen Moment im antifaschistischen Kampf einzuordnen, die gesteckten Zielen auf der Straße überprüfen und die daraus folgende Perspektive beleuchten.
Bei den Wahlen zum Europaparlament hat sich gezeigt: soziale Demagogie, Rassismus, das Image der Friedensalternative und die unsoziale Politik der Ampel helfen der AfD zu Wahlerfolgen und treibt die ganze bürgerliche Politik weiter nach rechts. Gleichsam gab es Massenproteste gegen die Deportationspläne der AfD Anfang des Jahres, Hunderttausende sind bereit gegen deren menschenverachtende Politik auf die Straße zu gehen. Im Windschatten der AfD-Erfolge kommen militant-organisierte Faschisten wieder zu mehr Selbstbewusstsein und greifen Linke und andere, die von ihnen als Feindbilder gesehen werden, an. Die Antifabewegung, die dem etwas entgegensetzen müsste, ist leider nicht groß und organisiert genug und die Ebene der direkten Konfrontation mit Faschisten nur noch sporadisch vorhanden. Dort wo Antifaschist:innen es in die Hand nehmen, die rechte Bewegung aktiv zurückzudrängen, wird hart verfolgt und diffamiert, wie im Antifa-Ost Verfahren. Das war die Ausgangslage vor dem Bundesparteitag der AfD in Essen. Dieser AfD-Parteitag war aber auch eine Chance für die antifaschistische Bewegung, seit langem wieder eine bundesweite Großmobilisierung mit nicht nur symbolischem Charakter zu nutzen und dabei möglichst effektiv den Spielraum der AfD einzuschränken. Eine Woche vor dem Parteitag unterstrichen Antifaschist:innen diese Absicht nochmal durch gleichzeitige Angriffen auf AfD-Einrichtungen und Privatadressen unter anderem in Neuss, Wuppertal, Duisburg und auf die Landesgeschäftsstelle in Düsseldorf.
Dass dann auch am 29.6. mehrere Tausend Menschen bereit waren, sich der AfD entschlossen entgegen zu stellen, wurde in den frühen Morgenstunden in der „Ruhrpott-Metropole“ Essen sichtbar. Unsere und die gesamte Blockademobilisierung des Widersetzen-Bündnis war recht erfolgreich. Es ist ein positives Signal, dass ein größeres Spektrum der radikalen und revolutionären Linken auf der Straße deutlich macht, dass wir nicht bei symbolischen Protesten stehen bleiben. Dass viele Antifaschist:innen dazu auch bereit waren, sich mit der der Polizei auseinander zu setzen, nicht vor Gewalt, Knüppel, Pfefferspray und möglicher Strafverfahren zurückschreckten hat eine Qualität, die es gilt weiter zu entwickeln anstatt unter den Teppich zu kehren. Es waren nicht rein „friedlichen Sitzblockaden“, wie manche „Widersetzen“-Pressekonferenzen vermuten ließen.
Die Blockaden konnten nur funktionieren, weil Menschen auf der Straße gekämpft und auch eingesteckt haben, sowie es der Polizei und den anreisenden AfD-Delegierten so ungemütlich wie möglich gemacht haben. Ein Aktionsrahmen, der unterschiedliche Formen der Praxis und eben auch die der direkten Konfrontation umfasst und sich nicht von einzelnen Aktionsformen distanziert, ist ein wichtiger Grundstein für die notwendigen Auseinandersetzungen, die wir in Zukunft gegen das Erstarken der Faschisten werden führen müssen.
Die Rechte Welle brechen, das bedeutet sich inhaltlich und praktisch an lokalen und überregionalen Anti-AfD-Protesten zu beteiligen und dabei aber deutlich zu machen, dass der Kampf gegen den Rechtsruck weiter geht als nur gegen die AfD, sondern auch nicht vor der Abschiebe- und Kriegspolitik der Ampelregierung halt machen kann. Die Großdemo am Samstagmittag mit Zehntausenden Teilnehmer:innen wäre dafür ein richtiger Rahmen gewesen. Die rechte Politik der Ampelregierung wurde dort aber wenn überhaupt von einzelnen Organisationen und Teilnehmer:innen zum Thema gemacht. Die Grünen, SPD und die restlichen bürgerlichen Akteure schweigen von den konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen in diesem Land. Sie tragen offen oder im Stillen den Kurs der Kapitalisten:innenklasse mit und beschränken ihre „Arbeit gegen Rechts“ auf die moralische Abgrenzung gegen die AfD.
Aufrüstung und Krieg, deutsche Kriegstüchtigkeit, Sozialabbau, rassistische Gesetzgebung und Repression gegen Antifaschist:innen wurde ausgeklammert für das große Bild „Alle vereint gegen die AfD“. Diese Strategie ist leider auch bei einigen linken Kräften verbreitet. Wohin das führt, konnten wir allein daran sehen, dass auch CDU-Oberbürgermeister Kufen und der Vorstandschef vom Energiekonzern Evonik auf der Abschlusskundgebung ihren „Antifaschismus“ präsentieren durften.
Antifaschismus ist für uns als revolutionäre Linke aber immer verbunden mit dem Kampf gegen Krieg, Patriarchat und Kapitalismus, und zumindest in Ansätzen für eine revolutionäre Perspektive. Einzig diese Perspektive bietet nämlich einen Ausweg aus dem Teufelskreis von kapitalistischer Krisenbewältigung auf Kosten der Arbeitenden und rassistischer Spaltung, die dadurch angefacht wird. Die AfD ist Ausdruck, Produkt und Teil des politischen Rechtsrucks, aber nicht Auslöser davon. Das Erstarken der AfD und faschistischer Bewegungen in Deutschland lässt sich weder erklären noch bekämpfen, wenn wir bei moralischen „Gegen Rechts“-Positionen stehen bleiben. Besonders auf bürgerlich dominierten Blockaden und Demos braucht es einen erkennbaren revolutionären Pol, durch Parolen, auf Transparenten, Schilder und praktischen Interventionen.
Genau da gab es in Essen Luft nach oben. Die hohe quantitative Präsenz revolutionärer Kräfte in den Strukturen und auf der Straße schlug sich zu wenig im Ausdruck der Proteste nieder. Besonders auf der großen Demo fehlte der eigene, organisierte Ausdruck, der die vielen mobilisierten Menschen erreichen und auf die Widersprüche im staatstragenden Antifaschismus aufmerksam machen könnte.
Wenn wir versuchen ein Fazit zu ziehen, fällt dieses gemischt aus. Auf der Straße kann der Tag als Erfolg gesehen werden, es ist gelungen eine geregelte Anreise der AfD zu verhindern und den Beginn des Bundesparteitags um einige Zeit zu verzögern. Alice Weidel und andere Spitzenfunktionäre wurden stundenlang am Verlassen ihres Hotel gehindert, andere konnten nur mit dem Schutz der Polizei eine Bäckerei wieder verlassen. Der Auftakt für ihren Parteitag war für die Meisten Rechten ein Irrweg durch Essen. Immer wieder endete die Fahrt an einer Blockade, immer wieder wurden sie eingekreist und beschimpft und konnten nur unter Polizeischutz die Grugahalle erreichen.
Politisch fällt das Resümee etwas schwerer: Der Erfolg der Mobilisierung wird mehr oder weniger verpuffen, neue Impulse für eine kämpferische antifaschistische Praxis durch Debatten und Erfahrungsauswertung werden daraus wahrscheinlich nicht folgen. Die Gründe dafür sind in der Mobilisierung und der Ausrichtung am Tag selbst angelegt. Die „Widersetzen“ Mobilisierung spart eine offensive Auseinandersetzung mit Blockaden und der Legitimität des antifaschistischen Kampfes auf der Straße aus. Es wurde der Begriff des „Widersetzen“ eingeführt – damit soll ein Narrativ von „friedlichem“ Protest, Sitzblockaden als „zivilem Ungehorsam“ geschaffen werden. Abgesehen davon, dass man sich damit von weitergehenden Aktionsformen abgrenzt und das bürgerliche Theater von „gutem“ und „bösen“ Protest mitspielt – der staatlichen Seite ist diese Differenzierung auch herzlich egal. Der NRW Innenminister Reul stellte im Vorhinein klar: auch (Sitz-)Blockaden als Nichtbeachtung der herrschenden Gesetze werden mit allen Mitteln und voller Härte von der Polizei verhindert werden. Folgerichtig auch die doch recht massive Polizeigewalt an dem Tag. Etwas, dass für viele Teilnehmenden überraschend gewesen sein dürfte, wenn sie sich im Vorhinein nur die blumigen Darstellungen von „Räume der Demokratie, der Vielfalt und der Menschlichkeit“ die geschaffen werden sollten, durchgelesen haben. Zumindest wird es einigen den wahren Charakter dieses Staates und wie er die Faschisten schützt, vor Augen geführt haben.
Auch inhaltlich fiel die breite „Widersetzen“-Mobilisierungen hinter Erreichtes zurück. Dabei ist nicht einmal klar, ob die politische Beliebigkeit und der demonstrative Frieden mit den Ampel-Parteien überhaupt dazu geführt haben, dass sich mehr Leute den Blockaden angeschlossen haben.
Wir sehen diese Punkte auch als Selbstkritik – es ist uns nicht gelungen, eine stärkeren Anteil und damit Einfluss auf die Durchsetzung dieser für uns zentralen Punkte zu haben. Die Vernetzung und das geschlossene Handeln revolutionärer Kräfte weist aber zumindest in die richtige Richtung und kann in Zukunft bessere Ausgangsbedingungen für solche Konstellationen eröffnen. Der antifaschistische Kampf wird in den kommenden Jahren nur an Bedeutung zunehmen, und deshalb gilt es, um die Positionen, Taktiken und Deutungshoheit in der Bewegung zu kämpfen. Zu den Grundlagen für den antifaschistischen Aufbau haben wir 2022 in einer in einer längeren Veröffentlichung die für uns zentralen Punkte ausgeführt.
In Zukunft werden wir die Ernsthaftigkeit in unserer Arbeit, sowie die Handlungsfähigkeit auf der Straße und den Antifaschismus auf verschiedenen Ebenen brauchen: die AfD ist aus ihrem Parteitag gestärkt hervorgegangen. Offene Widersprüche wurden übergegangen, die Doppelspitze aus Chrupalla und Weidel mit jeweils knapp 80% der Stimmen als Führungsduo bestätigt. Die AfD demonstrierte Geschlossenheit, der Flügel hielt still. Wir können davon ausgehen das die AfD bei den Landtagswahlen im Osten als stärkste Kraft hervorgehen wird – und geführt wird sie in diesen Bundesländern vom faschistischem Flügel rund um Höcke. Somit wird der Sieg bei den Landtagswahlen ein Sieg des Flügels, und wird seine Positionen innerhalb der AfD bestärken.
So kämpferisch und entschlossen wir in Essen in Teilen auf der Straße waren, so entschlossen müssen wir auch diesen Ereignissen entgegenstehen und zu den Landtagswahlen antifaschistisch aktiv werden. Das bedeutet die antifaschistischen Strukturen vor Ort unterstützen und unsere gemeinsame Praxis weiterentwickeln. Lernen wir aus den Erfahrungen in Essen und gehen wir nach vorne.
Es ist Zeit zu handeln.
(Bilder: widersetzen.com)