Die Rheinmetall Entwaffnen Aktionstage sind vorbei und wir blicken zurück auf eine Woche voller Aktionen, Vernetzung und Diskussion. Hunderte haben in den frühen Morgenstunden am Freitag die Eingänge eines Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) Werks blockiert und sind Samstag in einer antimilitaristischen Demonstration durch die Stadt gezogen. Die ganze Woche über haben bis zu 500 Aktivist:innen das Camp in den Kassler Götheanlagen für Austausch und Diskussion genutzt. Auch wir haben uns am Camp und den Aktionstagen beteiligt.
Bereits im Vorfeld sind wir mit der Veröffentlichung „Die Revolution nicht aus den Augen verlieren“ auf die verschiedenen Irrwege der deutschen Linken im Umgang mit dem Ukraine Krieg eingegangen und haben dem Burgfrieden mit den Herrschenden, der Solidarität mit Russland und dem bürgerlichen Pazifismus einen proletarischen Internationalismus entgegengestellt.
Zum Camp
Nachdem die letzten zwei Jahre Corona bedingt bei den Aktionstagen von Rheinmetall Entwaffnen kein Camp stattfinden konnte, wurde das Camp dieses Jahr mit großer Anspannung erwartet. Gerade die Schwäche antimilitaristischer Positionen im Kontext des Krieg in der Ukraine und die auch in linken Kreisen um sich greifende Burgfriedensstimmung ließen befürchten, dass die Teilnehmer:innenzahlen moderat bleiben werden. Im Angesicht dessen waren die – zu Hochzeiten – 500 Teilnehmer:innen des Camps in Kassel ein voller Erfolg.
Es war uns wichtig, uns als revolutionäre Kommunist:innen in das Camp einzubringen, Verantwortung zu übernehmen und unsere Inhalte und Positionen sicht- und diskutierbar zu machen. Gerade weil wir nicht alle inhaltlichen Positionen und Methoden unserer Bündnispartner:innen teilen, halten wir diesen solidarischen Austausch mit einer Sichtbarkeit der verschiedenen Positionen für wichtig. Dazu beigetragen hat das revolutionäre Barrio samt Infotisch und Aufenthaltsbereich. Über den gesamten Camp-Zeitraum waren hier Flyer, Broschüren, Bücher und T-Shirts zugänglich. Das Barrio war ebenfalls ein Ort der Vernetzung und des Zusammenkommens von Revolutionär:innen aus verschiedenen Städten.
In unserer Veranstaltung „Wenn der Krieg zu Krise und die Krise zum Krieg wird – Revolutionäre Perspektiven in der imperialistischen Zeitenwende“ die am Freitag auf dem Camp stattfand, haben wir skizziert welche Rolle Antimilitarismus in revolutionärer Politik einnehmen muss und dargelegt, warum wir uns zwar breit gegen die Bewaffnung der Herrschenden aufstellen müssen, aber keineswegs alle Formen des Krieges ablehnen können, wenn wir die Notwendigkeit des Sturzes der bestehenden Ordnung ernst nehmen. Schon die Revolution in Russland musste in einem blutigen Bürgerkrieg gegen die abgesetzten Reaktionäre und ihre kapitalistischen Verbündeten aus dem Ausland verteidigt werden und auch aktuell zeigt sich in Rojava, wie wehrhaft – auch mit Waffengewalt – ein erfolgreiches revolutionäres Projekt sein muss, wenn es bestehen möchte.
Am Samstag Vormittag waren wir dann gemeinsam mit Vertreter:innen der „Interventionistischen Linken“ sowie „Gemeinsam Kämpfen“ und „Initiative demokratischer Konförderalismus“ auf der zentralen Podiumsdiskussion zu revolutionären Perspektiven vertreten. Die Möglichkeit in der Bewegung über die Frage des revolutionären Subjekts, über die aktuelle Bedeutung eines Klassenstandpunkts, über das Verhältnis zwischen revolutionären Kernen, gesellschaftlichen Organisierungen, sozialen Bewegungen und politischen Widerständen zu diskutieren, dabei die Widersprüche verschiedener Ansätze sichtbar zu machen, begreifen wir als sehr wertvoll – auch wenn alle Beteiligten durch die zwangsläufigen zeitlichen und inhaltlichen Beschränkungen dabei sicherlich an einigen Punkten nur an der Oberfläche kratzen konnten. An dieser Stelle nocheinmal ein großer Dank an die Organisator:innen! Gerne knüpfen wir auch in Zukunft an diese Form der Debatte an.
Zu den Blockadeaktionen am Freitag
Das Rheinmetall Entwaffnen Bündnis hatte dazu aufgerufen am Freitag die Rüstungsproduktion in Kassel zu „entern“ und die Kriegstreiberei nicht ungestört zu lassen. Gemeinsam mit Genoss:innen der „Offensive gegen Aufrüstung“ haben auch wir uns an den direkten Aktionen gegen die Kriegsindustrie beteiligt.
Bereits in den Tagen zuvor wurden vor verschiedenen Rüstungswerken in Kassel Flyer an die Arbeiter:innen verteilt, in denen klargestellt wurde, dass die Aktionen sich nicht gegen sie richten, sondern gegen die deutsche Kriegsindustrie – ihre Bosse – die sich an Kriegen weltweit und durch die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft eine goldene Nase verdient. Nicht diejenigen, die ihre Arbeitskraft für ihr tägliches Brot verkaufen müssen sind verantwortlich für den deutschen Imperialismus und das Leid, das er auf der Ganzen Welt verursacht, sondern die Kapitalist:innen in deren Interesse Waffen exportiert und Kriege geführt werden.
In den frühen Morgenstunden formierten sich drei Finger mit Aktivist:innen – teils unangekündigt in der Stadt, teils direkt am Camp – und machten sich koordiniert auf den Weg. Gemeinsames Ziel war ein eher unscheinbares Werk von KMW, das für die Produktion deutscher Waffen aber zentral ist. In dem Werk an der Wolfshagener Straße wird die zentrale Elektronik, das „Hirn“, der Leopard 2 Panzer und der Panzerhaubitze 2000 produziert. Alle drei Finger konnten das Werk trotz den zwar quantitativ stark präsenten, aber offensichtlich doch sehr überforderten Bullen ohne kluges Einsatzkonzept pünktlich zum Schichtbeginn erreichen und beide Tore des Werks blockieren.
Bei einem Werkstor wurde die Blockade des Tors durch Baustellenmaterial und Autoreifen verstärkt. Nachdem die Bullen das verhindern wollten, entwickelte sich eine längere Auseinandersetzung, während der die Bullen mehrmals zurückgedrängt werden konnten – dabei gelangte dem Vernehmen nach wohl auch ein Bullenhelm in die Hände der Aktivist:innen. Erst nach über 20 Minuten und unter dem literweisen Einsatz von Pfefferspray und massivem Schlagstockeinsatz schafften die Bullen es einen kleinen Korridor zwischen Blockade und Werkstor frei zu prügeln, sodass weitere Kräfte hinzugezogen werden konnten.
Das gemeinsame Agieren verschiedener Spektren auf der Straße, das koordinierte Zusammenspiel verschiedener Finger sowie die konsequente Durchsetzung der Blockaden haben die Aktionen am Morgen zu einem Erfolg werden lassen und der Kriegsindustrie wirklich und nicht nur symbolisch geschadet. Konfrontative Situationen wie die vor dem Werkstor begreifen wir nicht als notwendiges Übel, sondern als wichtige Form von Auseinandersetzungen, die einen ernstgemeinten antimilitaristischen Aktivismus mit prägen müssen. Wir haben nicht einfach nur Unzufriedenheit im Protest gezeigt und passiv darauf gewartet bis wir geräumt werden, sondern wir haben – zugegebenermaßen im Kleinen – konkret das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt. Dadurch war die Blockade nicht nur in dem Sinn erfolgreich, dass sie dazu geführt hat, dass die Produktion bei KMW tatsächlich für einen Tag eingeschränkt werden musste, sie hat auch dazu beigetragen die Allmacht des kapitalistischen Staates – der für die Profite der Kriegsindustrie gerne in die Bresche springt – in Frage zu stellen und ein Stückchen Gegenmacht aufzubauen.
Nachdem klar war, dass KMW die Produktion wirklich einstellen muss und anwesende Arbeiter:innen abgezogen waren, zogen beide Blockadefinger von den Werkstoren in einer gemeinsamen Demonstration zurück ins Camp und verhinderten damit auch, dass die Bullen auf dem Rückweg einzelne Aktivist:innen herausziehen konnten. Leider kam es gegen Mittag am Rande der Kundgebung vor dem Rheinmetall Werk trotzdem zu mehreren Festnahmen. Schnell solidarisierten sich jedoch viele Aktivist:innen, blockierten Bullenwägen und setzten die Bullen offensichtlich so sehr unter Stress, dass diese bei einer chaotischen und überhasteten Abfahrt ihren Wagen beim Überfahren von erhöhten Bahnschienen beschädigten.
Zur Demonstration
Am Samstag zogen schließlich bis zu 800 Aktivist:innen in einer lauten und kraftvollen Demonstration durch die Kassler Innenstadt. Am gemeinsamen Block des „Offensive gegen Aufrüstung“ Bündnisses beteiligten sich bis zu 400 Personen aus verschiedenen Städten. Hinter dem Fronttransparent „Wir zahlen nicht für die Kriege der Herrschenden“, mit Schildern, zahlreichen roten Fahnen und in Parolen wurde mit dem Block ein klar klassenkämpferischer Ausdruck auf die Straße gebracht.
In einem gemeinsamen Redebeitrag der „Offensive gegen Aufrüstung“ wurde darüberhinaus die Notwendigkeit betont in den anstehenden Sozialprotesten auch antimilitaristische Positionen zu vertreten. Es ist eben nicht so, dass es zu wenig „Wohlstand“ in Deutschland gäbe und jetzt alle den Gürtel enger schnallen müssten. Für die Bundeswehr standen beinahe über Nacht 100 Milliarden Euro bereit und während wir kalt Duschen oder uns mit dem Waschlappen putzen sollen, reisen die Bonzen weiter mit ihren Privatjets von der Villa im Nobelviertel zur eigenen Luxusjacht. Unsere Antwort auf Teuerungen und Militarisierung muss deshalb klar antimilitaristisch und klassenkämpferisch sein. In einem weiteren Redebeitrag vor dem am Vortag blockierten KMW Werk ging ein lokaler Gewerkschafter auf die Notwendigkeit antimilitaristischer Gewerkschaftsarbeit ein und stellte klar, dass die Einstellung der Rüstungsproduktion sich nicht gegen die Interessen der Arbeiter:innen bei Rheinmetall richtet. Rheinmetall hat in seiner Geschichte durchaus zivile Produkte produziert, damit ließ sich nur einfach nicht so viel Profit machen, wie mit Waffen. Profit, von dem Arbeiter:innen übrigens wenig sehen, die Rheinmetall Aktionär:innen dafür umso mehr.
Die Bullen hatten im Rahmen der Demo anscheinend vor sich für die Blockaden am Freitag zu rächen und traten schon früh sehr martialisch auf. Insbesondere neben dem„Offensive gegen Aufrüstung“ Block liefen sie behelmt und im Spalier. Einige Mund-Nasen Bedeckungen im Block sowie das Abbrennen von Rauchtöpfen nahmen sie dann schließlich zum Anlass, um zu versuchen einzelne Personen aus der Demonstration zu ziehen. Dieser Versuch konnte allerdings – auch Dank der Unterstützung weiterer solidarischer Demoteilnehmer:innen – ohne größere Probleme abgewehrt werden. Im weiteren Verlauf zeigte sich die ganze Demonstration solidarisch mit dem „Offensive gegen Aufrüstung“ Block und lies nicht zu, dass die Bullen den Protest spalten.
Einen besonderen Fokus nahm während der Demonstration die Solidarität mit der Revolution in Rojava in Nordsyrien ein. Die selbstverwalteten Gebiete dort mit ihren demokratischen Rätestrukturen in denen alle Religionen und Ethnien vertreten sind, mit der Frauenbefreiung und Ansätzen einer geplanten und ökologischen Wirtschaft werden aktuell immer massiver vom türkischen Staat angegriffen. Als Zeichen der Solidarität wurden in der gesamten Demonstration die Fahnen der Frauen- und Volksverteidigungseinheiten YPJ und YPG gehalten und während einer Rede von Vertreter:innen der kurdischen Bewegung wurden Konfettikanonen abgefeuert.
Was sonst noch so passiert ist
Neben den zwei Hauptaktionstagen am Freitag und Samstag gab es auch unter der Woche einige antimilitaristische Aktionen in Kassel. So wurde das Bundeswehr Karriere Center großflächig Transparenten, Plakaten und Sprühkreide verschönert, es wurden Transparente und Sprühkreide bei der „Deutschen Bank“ hinterlassen, die Kriege auf der ganzen Welt finanziert, es gab eine antikapitalistische Beteiligung an der lokalen Bündnisdemo zum Antikriegstag, das lokale Kriegerdenkmal in Kassel wurde mit antimilitaristischen Parolen verschönert, es gab eine antikapitalistische Spontandemonstration gegen Teuerungen und Krise und trotz der konstant hohen Bullenpräsenz rund um die Orte der Kriegsindustrie gelang es wohl einigen Aktivist:innen ein weiteres KMW-Werk mit Farbe zu verschönern.
Am Freitag dem 2. September gab es zusätzlich eine Spontandemonstration vom Camp anlässlich des Todes von Malte C. Der 25 jährige trans Mann war den Verletzungen eines transfeindlichen Angriffs am Rande des CSD in Münster erlegen.
Bereits einige Wochen zuvor hatten Aktivist:innen mehrere Autos aus dem Bundeswehrfuhrpark in der Nähe der Bundeswehrfachschule angezündet wie einem Artikel auf Indymedia zu entnehmen ist.
Wie weiter?
Die solidarische Zusammenarbeit verschiedenster Akteure und Spektren und das gemeinsame Verständnis vom „Hauptfeind im eigenen Land“ sehen wir gerade in Zeiten, in denen diese wichtige Position von vielen in Frage gestellt wird als großen Erfolg der Aktionstage von „Rheinmetall Entwaffnen“ an. Trotz einer kaum vorhandenen Antikriegsbewegung und wenig kontinuierlich arbeitenden antimilitaristischen Gruppen in Deutschland waren die Proteste in Kassel möglich und haben mit der Blockade am Freitag morgen den symbolischen Rahmen überschritten. Auch das solidarische Vorgehen gegen die Repression auf der Straße bei den Blockaden am Freitag, bei der Demonstration am Samstag und bei verschiedenen Festnahmeversuchen hat gezeigt, dass die antimilitaristische Bewegung die Kraft hat, sich nicht spalten zu lassen. An diese gegenseitige Solidarität gilt es auch in Zukunft anzuknüpfen.
Bei allen Erfolgen dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass Aktionstage wie die von „Rheinmetall Entwaffnen“ immer ein Stück weit nach Innen gerichtet sind. Es gab durchaus Ansätze Arbeiter:innen oder Nachbar:innen zu erreichen, sie verpuffen natürlich aber, wenn das große Event nacht einer Woche wieder vorbei ist. Solche „Großereignisse“ sind wichtig um uns unserer eigenen Stärke zu vergewissern und ein Zeichen zu setzen: Wir sind da und ihr müsst mit uns rechnen! Sie dürfen aber den Aufbau der eigenen Seite nicht ersetzen. In diesem Sinne war es gut und wertvoll, dass es neben der Mobilisierung zu „Rheinmetall Entwaffnen“ eine verhältnismäßig starke Arbeit vor allem von klassenkämpferischen Strukturen zum Antikriegstag am 1. September gab. Eine Sammlung dieser Aktionen findet ihr bei „Offensive gegen Aufrüstung“.
Die Aktionstage von Rheinmetall Entwaffnen waren ein Erfolg und haben gezeigt, dass auch in Zeiten, in denen der Kriegstaumel breite Teile der Bevölkerung erfasst hat, antimilitaristische Aktionen möglich und fruchtbar sind. Jetzt gilt es diesen Aktivismus auch über die Zeit des Camps hinaus weiter zu entwickeln und 365 Tage im Jahr lokal zu gestalten. Nur wenn wir lokal aktiv sind, antimilitaristische und revolutionäre Strukturen aufbauen und in all diesen Kämpfen die Interessen der Arbeiter:innenklasse herausbilden und vertreten, haben wir die Möglichkeit eine revolutionäre Bewegung aufzubauen, die den Kriegen der Herrschenden tatsächlich etwas entgegensetzen kann. Gerade im Hinblick auf einen heißen Herbst oder wütenden Winter, bleibt es wesentlich, dass wir lokal handlungsfähig sind und die Deutung und Antworten auf die Krise des Kapitalismus nicht den Rechten überlassen – eine antikapitalistische Krisenantwort muss dabei immer auch eine Antwort auf die internationale Konkurrenz und die Kriegstreiberei der Herrschenden beinhalten!
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